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1. Die Spaltung in der katholischen Kirche In den letzten Jahrzehnten waren Probleme bezüglich des Glaubens und der Moral, sowie Entscheidungen betreffend Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Familie und Sexualität Gegenstand derart unterschiedlicher Interpretationen unter römischen Katholiken, daß dies zu einer Spaltung innerhalb der Kirche geführt hat, wie es sie nie zuvor in der Kirchengeschichte gegeben hat. Diese Spaltung verlangt nach einer gründlichen Analyse. Sie ist vergleichbar mit den Schismen, die zum Teil seit mehr als tausend Jahren andauern und bis heute eine wesentliche Rolle in den Konflikten unter den verschiedenen europäischen Nationen spielen. Anläßlich der Europäischen Bischofskonferenz halten wir es für angebracht, einige Überlegungen zu dieser Spaltung innerhalb der römisch-katholischen Kirche in das Blickfeld zu stellen. 1.1. Unsere Analyse der Kirchenspaltung Sozial-religiöse Untersuchungen zeigen ausnahmslos auf, daß unter Katholiken keine Einmütigkeit im Gehorsam gegenüber dem kirchlichen Lehramt besteht. Internationale und kulturübergreifende Umfragen - wie jene des amerikanischen Soziologen Greeley - zeigen in aller Klarheit, wie die Gläubigen zu völlig unterschiedlichen Ansichten gelangen. Dies trifft auch zu bei Fragen, zu denen das päpstliche Lehramt eine Diskussion für unzulässig erklärt hat ('Fast-Dogmen'), wie zum Beispiel zu den Fragen der Ordination von Frauen oder verheirateten Männern. In vielen Länder gibt es eine Mehrheit der Gläubigen, die in einer Weise denkt und handelt, die das Lehramt als 'irrig' qualifiziert. Diese Spaltung besteht besonders im Bereich der Familien- und Sexualethik:
Die
gegenwärtige Spaltung innerhalb der Kirche scheint bestätigt
zu werden durch
Einerseits ist es eine Tatsache, daß "die Kirche ... eine neue Vitalität an den Tag legt, insbeson-dere in der biblischen und liturgischen Erneuerung, in der aktiven Teilnahme der Gläubigen am Leben der Pfarren, in neuen Erfahrungen von Gemeindeleben ..., in der Zunahme der großmüti-gen Dienste an Armen und Randgruppen" (77). Auf der anderen Seite "sprechen manche von einer Gefahr, wenn ein pastorales Programm weitergeführt wird, das nicht mehr die Charakteri-stika jener Zeit trägt, als das Christentum die dominierende Religion war. Ein solches pastora-les Programm ist psychologisch ungeeignet, dem Schwinden des Ansehens und der gesellschaftlichen Anerkennung der Kirche entgegenzuwirken. Die Vertreter dieser Richtung versuchen, die Strukturen und den Einfluß der Kirche mit allen Mitteln zu erhalten, auch um den Preis des Kompromisses, daß viele Menschen in einer überkommenen Art der Zugehörigkeit zur Kirche leben, ohne Veranlassung zu einer klaren und grundlegenden Entscheidung." (15) Auch in Bezug auf die Zusammenarbeit von Priestern und Laien weist Instrumentum Laboris darauf hin, daß "aufgrund der Existenz von beratenden Versammlungen und Strukturen der Mitwirkung auf Pfarrebene und darüber hinaus eine positive Entwicklung der Zusammenarbeit und oft auch der Mitverantwortung unter den in der Gemeinschaft der Kirche aktiv Mitwirkenden gegeben ist. Die Basis dieser Zusammenarbeit ist eine Respektierung der Rolle und der Kompetenz eines jeden ebenso wie die Anerkennung der Gleichheit aller. Über das Pfarrleben hinaus ist diese Tendenz auch zu sehen in neuen Bewegungen und Gemeinschaften geweihten Lebens". Weiters stellt das Dokument fest: "Es gibt jedoch weiterhin viele Situationen, wo Priester eine eher dominierende und autoritäre Haltung einnehmen, die den gläubigen und erwachsenen Laien, die in Familie und Gesellschaft Verantwortung tragen, weder ihre Reife zugesteht noch den wertvollen Beitrag, den sie in der kirchlichen Gemeinschaft leisten, aner-kennt. Obwohl es Anzeichen gibt, daß sich diese Situationen allmählich ändert, bleibt eine wirkungsvolle Zusammenarbeit in einer gemeinsamen Aufgabe oft in weiter Ferne. Es gibt viele Gemeinden, wo die Zusammenarbeit von Priester und Laien nicht als vorrangig betrachtet wird." (49) "In einem ständig wachsenden Pluralismus des Glaubens und der Kultur sehen einige, die von einer Art westlicher Monokultur geprägt wurden, mit Besorgnis auf diese Situation und sind nicht gerüstet, diesen Pluralismus zu verstehen und zu interpretieren." In einem anderen Kapitel werden die Früchte einer solchen christlichen Monokultur zusammengefaßt: "die Versuchung, die Aufmerksamkeit von weltlicher Macht, finanziellen Dingen und dem reibungslosen Funktio-nieren von Organisationen fesseln zu lassen; eine Form von neuem Klerikalismus – wenn auch latent; die subtile Tendenz, sich selbst hervorzuheben durch autoritäre Führung in pastoralen Projekten, mit der Gefahr der Gewissensmanipulation und der Umgehung von Zusammenarbeit in der Evangelisationsarbeit; sowie die Gefahr von versteckten Formen von väterlicher Für-sorge im Zusammenhang mit wohltätigen Diensten und sozialer Hilfe." (39) Auch im liturgischen Bereich erweist sich diese Situation als problematisch, da einerseits liturgische Feiern und Gebetsgottesdienste, die den geltenden Normen nicht entsprechen und inakzeptable Auswüchse der liturgischen Kreativität hervorrufen, wohl gestaltet oder gut improvisiert sein mögen; andererseits zeigen Erfahrungen, daß liturgische Feiern und fromme Praktiken, die allzu sehr in den Rubriken verhaftet sind, spirituell vertrocknet erscheinen und vielfach als langweilig empfunden werden; auch sollen alle jene traditionalstischen Gruppen nicht übersehen werden, die durch besondere Betonung der äußeren liturgischen Formen diesen faktisch einen orthodoxen Charakter verleihen (69). Die Schlußfolgerung lautet wie folgt: "Zweifellos führen diese unterschiedlichen und oft gegensätzlichen Realitäten im Verständnis und im Feiern der Liturgie oft zu einer Polarisation. Auf diese Weise wirken verschiedene diesbezügliche Aspekte zusammen und schaffen ein Bild der Kirche, welches den Eindruck vermittelt, es gäbe zwei verschiedene Wege des Erkennens und des kirchlichen Lebens, wohl parallel verlaufend, aber in der Realität diametral gegeneinander gerichtet." (69). Die der Europäischen Bischofssynode vorausgehenden Beratungen, deren Motor Instrumentum Laboris sein soll, bestätigen in gleicher Weise, daß es zwei Wege des Verstehens und Erfah-rens von Kirche gibt, die im Gegensatz zueinander stehen. (69) 2. Zwei Weltanschauungen Wenn auch die Situation der katholischen Kirche auf den ersten Blick aussieht wie eine Mischung aus militärischer Einheitlichkeit (alle zeigen einen formellen Gehorsam gegenüber dem Chef) und ausgesprochener Anarchie (jeder kauft und verkauft im katholischen Supermarkt, was ihm gefällt), so ist ein Aspekt der aktuellen 'Krise' bei näherer Betrachtung nicht zu leugnen: der Gegensatz zwischen zwei Weltanschauungen und das Fehlen eines kompetenten und autorisier-ten Vermittlers, der in der Lage ist, die Zwistigkeiten zu schlichten und eine 'Bekehrung' aller herbeizuführen. 2.1. Die patriarchalische Weltanschauung Die Ideologie, auf der ein Teil des Katholizismus basiert, ist patriarchalisch (der Patriarch befiehlt über seine Familie, und die Familie schuldet ihm absoluten Gehorsam), machistisch (der 'Macho', der Mann ist der 'kleinen' Frau überlegen), monarchisch-theokratisch (man versucht, durch eine eigene Sprache, eigene Gebäude und eigene Führer einen Sonderstatus zu erlangen), klerikal (alle Führungspositionen werden geweihten und darüber hinaus zölibatären Personen übertragen), und dogmatisch (die Lehre ist unbestreitbar, da göttlichen Ursprungs). Diese Weltanschauung äußert sich durch Macht, privates Eigentum, Reichtum, Gesetze, Diszi-plin, Furcht, Unterdrückung und sogar Gewalt. Jeder Versuch, sich gegen die Autorität zu stellen, kommt einem Sakrileg gleich und kann den Ausschluß aus der Gemeinschaft (Exkommu-nikation) mit sich bringen. Aus dieser Perspektive halten es die 'Treuen' für ihre höchste Pflicht, an den Lehren und Ritua-len festzuhalten, die die Hierarchie für sie festlegt und die 'unfehlbar' werden in der Person des 'Heiligen' Vaters:
2.2. Die geschwisterliche Weltanschauung Die andere in der Kirche vertretene Weltanschauung steht im Gegensatz zur ersten: sie ist geschwisterlich (alle sind Kinder Gottes, und daher Brüder und Schwestern), egalitär (Gleichheit unter den Geschlechtern, Völkern, Religionen, etc.), demokratisch (was alle betrifft, muß auch von allen entschieden werden), laizistisch (unabhängig von geweihten Mächten) und charismatisch (alle haben den Heiligen Geist empfangen, der beiträgt zur Ent-wicklung der Lehre und der Normen – mit der Möglichkeit von Autorität, aber niemals mit dem Anspruch der Unfehlbarkeit). Dieser Ansatz bedeutet:
3. Zwei Wege der Bildung Jede der beiden Weltanschauungen wird genährt durch einen Bildungsprozeß, der auf ihren Fortbestand hin ausgerichtet ist. Demnach existieren zwei grundsätzlich verschiedene Stand-punkte zu Bildung und Erziehung nebeneinander. 3.1. Bildung aus der patriarchalischen Perspektive Die pädagogischen Aktivitäten der Kirche unter dem Einfluß einer patriarchalischen, dogmati-schen, klerikalen und monarchischen Gesinnung tendiert zu einer Art des Lehrens für die Gläubigen, ob Kinder oder Erwachsene,
3.2. Bildung aus der geschwisterlichen Perspektive Die Anhänger der brüderlichen Sicht (Basisgruppen, ökumenische Gruppen, Bibelgruppen, experimentelle Katechese, progressive Pfarren, etc.) suchen einen Glauben zu vermitteln,
3.1. Die 'klerikozentrische' Kirche Die patriarchalisch, monarchistisch, machistisch und sakral orientierte Weltanschauung führt zu einer Organisation, die sich auf einen zentralisierten bürokratischen Apparat mit strenger Hierarchie stützt, sich mit einer sakralen Aura umgibt und damit ihren göttlichen Ursprung unterstreicht. Die Macht in diesem Apparat steigt mit den Stufen der klerikalen Karriere. Die Mitglieder dieses Apparates
3.2. Die 'demozentrische' Kirche Das geschwisterliche Modell, das in den ersten Jahrhunderten des Christentums der bestim-mende Einfluß für die Kirchenorganisation war, sieht die Versammlung der Gläubigen (eccle-sia) als Ganzes verantwortlich für Entscheidungen in geistlichen und materiellen Fragen, weil sie 'an Gott und an den Gaben des Geistes teilhat'. Dieses Modell, das in der Vergangenheit auch zur Grundlage von Armuts- und Erneuerungsbewegungen geworden ist, inspiriert heute in gleicher Weise die modernen 'Basisgruppen' (teilweise auch in Verbindung mit religiösen Orden). In diesen Gruppen
4. Zwei Paradigmen Diese beiden Weltanschauungen, die zur Zeit innerhalb der katholischen Kirche aufeinander-prallen und zwei unterschiedliche Lehr- und Organisationsmodelle vertreten, hängen ihrerseits wieder zusammen mit zwei ebenfalls völlig divergierenden metaphysischen und erkenntnistheo-retischen Prämissen (Paradigmen). Nach Norgaard gibt es jeweils fünf Prämissen. 4.2. Deterministisches Paradigma Die Prämissen des monarchisch-patriarchalisch-machistisch-bürokratischen Paradigmas waren nachhaltig für die technisch-wissenschaftlich-soziale Entwicklung der westlichen Welt verant-wortlich. Sie unterstützen in hohem Maße die philosophisch-religiös-politischen Systeme. Die fünf Prämissen sind:
Die patriarchalisch-klerikal-dogmatische Kirche wird von diesem Paradigma bestimmt. Nach-dem die Elemente dieses kirchlichen Systems (Dogmen, Riten, ethische und soziale Normen) als unveränderlich und nicht veränderbar festgelegt sind, werden sie automatisch durch die Bürokratie (den Klerus) in die Pastoral eingefügt und auf die ganze Welt übertragen. Die Kirche kann unbesorgt in die Zukunft blicken, die lediglich eine Extrapolation der Gegenwart sein wird. 4.2. Das Wahrscheinlichkeits-Paradigma Es ist eine neue Tatsache, daß als Folge des gleichzeitigen Fortschritts von Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft das 'westlich-patriarchalische Paradigma' immer mehr geschwächt wurde, bis es schließlich seinen scheinbar universellen Charakter verloren hat. Es hat sich herausgestellt, daß perfekt deterministische Regeln und Gesetze eine unvorhersehbare und chaotische Entwicklung hervorrufen können, die man paradoxerweise als 'deterministisches Chaos' bezeichnet. Daher wurde in den letzten Jahrzehnten ein neues Systemparadigma notwen-dig, das auf fünf metaphysischen und erkenntnistheoretischen Prämissen beruht, die sich von denen des deterministische Paradigmas total unterscheiden:
Was den sozialen Bereich betrifft, so genügt es, an die gesellschaftlichen Konflikte zu erinnern, als die Frauen, ebenfalls in Folge des oben beschriebenen überpersönlichen Prozesses, ihren Platz in der Schöpfung und in der Geschichte beanspruch-ten. Frauen haben in der Kirche eine tiefergehende Reflexion herausgefordert, in deren Folge sich die Kirche erstmals in ihrer Geschichte gezwungen sah, öffentlich zuzugeben, daß Gott nicht nur 'Vater' sondern auch 'Mut-ter' ist. Frauen warfen die unangenehme Frage des Zuganges zu Weiheämtern für Frauen auf, welche nach der Tradition nur Männern zustehen. Aus all diesen Gründen mußte man das deterministische Paradigma, daß Jahrtausende hindurch seine Gültigkeit hatte, aufgeben und zu einem Systemparadigma übergehen, auf dessen Basis sich dogmatische Definitionen, liturgische und kanonische Regelungen, die Kirchenorganisation und ethische Normen nur auf behutsame, vorsichtige, im Kontext zu sehende und intelligente (intus legere = inneres Lesen) Weise formulieren las-sen. Es ist unmöglich, Strenge und Starrheit zu analysieren, zu planen, zu definieren, allgemein anzuwenden und zentral zu steuern, ohne in die Gefahr ihres Zusammenbruches zu laufen. Das wäre wie ein Staat, der das gesamte Leben seiner Bürger ein für alle Male ordnet und starr festlegt, ein Vorgehen, das in einer komplexen Gesellschaft nicht denkbar ist. 6. Überwindung der Spaltung Die Änderung des metaphysisch-erkenntnistheoretischen Paradigmas erfordert offensichtlich eine 'Metanoia', eine Veränderung, aufbauend auf der Bereitschaft, nicht die Idee selbst zu ändern, sondern die Art und Weise, wie die Realität in ihrer Ganzheit wahrgenommen und durchdacht wird. 6.1. System-Denken Auf holistische Art zu denken und zu agieren geht auf ein 'System-Denken' zurück, eine integra-tive und komplexe Denkweise, die die Ganzheit auf folgende Weise betrachtet:
Daraus folgt, daß das System-Denken implizit komplex ist, da man dabei eingesteht, Ungenau-igkeit, Zweideutigkeit und Widerspruch nicht beherrschen zu können und daß sich das Tragische nicht unterdrücken läßt. Das mag für einen Wissenschaftler verwirrend sein etwa bei der Entdeckung einer unerwarteten Wirklichkeit, die er nicht mehr in den theoretischen Rahmen des traditionellen Denkens einfügen kann. Nach E. Morin ist das komplexe Denken hauptsächlich dialektisch. Für ihn stehen Ordnung und Unordnung einander nicht als Gegensätze gegenüber, sondern wirken zusammen und halten im Schoß der Einheit die Dualität aufrecht. Ursache und Wirkung vertauschen ihre Rollen, ebenso wie der Teil und das Ganze, das nicht unabhängig von seinen Teilen betrachtet werden kann (Pascal). Komplexes Denken verbindet das Eine mit der Vielfalt, ohne daß jemals das Eine in der Viel-falt aufgeht, ebenso wenig wie sich die Vielfalt in der Einheit verliert. Die vollständige, per-fekte, unfehlbare, universelle und erhabene Erkenntnis gilt als unmöglich. Paulus hat dies vor 2000 Jahren sehr realistisch erläutert: "Jetzt noch schauen wir wie in einen Spiegel und sehen rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht." (1 Kor 13,12). Er lehnt Ordnung, Determinismus und Logik nicht ab, aber er zeigt auf, daß die Wirklichkeit auch ihr Gegenteil einschließt. Das komplexe Systemdenken führt zu Würdigung auch des kleinsten Lebewesens. In dem Ausmaß, in dem ein Staat fähig ist, sich selbst zu schaffen, zu organisieren und zu erneuern, ist seine Organisation unendlich viel reicher als etwa die eines Atomkraftwerkes. Es fügt sich darüber hinaus in die kosmische Ordnung ein, die den Lauf der Erde um die Sonne und den Wechsel von Tag und Nacht bestimmt. Dieser systemische Gesichtspunkt scheint in der Bibel an vielen Stellen bereits vorweggenom-men zu sein. Paulus systematisierte ihn noch weiter in seiner Sicht der Kirche als 'Leib Christi', als ein Leib, in dem die Glieder in Beziehung untereinander und mit dem Kosmos in seiner Gesamtheit stehen. Für Paulus haben die Jünger Jesu die Charismen des Heilens, Führens und der Prophetie deutlich gemacht in ihrem Bestreben zum Aufbau einer lebendigen Gemeinschaft in Gott als Netzwerk von nicht steuerbaren oder kodifizierbaren inneren Beziehungen und Bewegungen. Die Gemeinschaft widerspiegelt damit die Welt des dreifaltigen Gottes und der gesamten Kirche. Für Paulus liegt die Grundlage aller Beziehungen in ihrer Wechselseitigkeit. Er sieht die Gemeinschaft als Stätte der Solidarität, des Miteinanders, der Bemühung um Schaffung eines Klimas der gegenseitigen Achtung. Sie ist der Ort wo Menschen einander lieben, zurechtwei-sen, für einander sorgen, einander beim Tragen ihrer Lasten helfen, einander aufnehmen, ermu-tigen, ertragen, vergeben, vor einander ihre Fehler bekennen, - wo Menschen einander dienen. Mittels eines solchen Beziehungsnetzwerkes, ausgestattet mit einer gewissen Ordnung und obwohl nicht frei von Ungleichgewicht und Spaltung, bringt die Gemeinschaft ein gemeinsames Denken und Handeln in Gang. Sie befähigt sich dadurch, sich selbst zu organisieren, sich von anderen zu unterscheiden und weitere, noch komplexere Beziehungsnetzwerke zu schaffen, ohne dabei die Anweisungen einer Zentralmacht zu benötigen. Innerhalb eines solchen Beziehungsnetzwerkes hat jedes Element eine Rolle als 'Aktivator', als 'Berater' in Fragen von Werten und Interpretationen und als 'Vermittler'. Dadurch trägt jedes Element bei zur Erhaltung der inneren Solidarität, vergleichbar mit jener, die der Dreifaltigkeit zugeschrieben wird. Auf dieser Grundlage erhält das Prinzip der Subsidiarität seine Bedeutung: Die dominierende Gruppe gibt Macht ab, damit andere in Erfüllung ihrer Funktion eine mitrei-ßende Wirkung in der Gemeinschaft erzielen. Die Annahme und Anwendung des Systemdenkens bedeutet daher eine Wiederbegegnung mit den Quellen, nicht nur im biblischen Denken und Tun, sondern auch mit der besonderen Erkenntnis eines Gottes der Beziehung, des einen wahren und dreieinigen Gottes (grundlegen-des Dogma des christlichen Glaubens). Seine Ablehnung dagegen setzt die Kirche in eine Position des Abseits, auch abseits der ökologischen, pluralistischen und demokratischen Paradigmen, die die Zeichen der Zeit in sich tragen. Die ganze Welt (Religionen, politische Parteien, Institutionen, wirtschaftliche Unternehmen etc.) ist aufgerufen, sich diesen Zeichen der Zeit zuzuwenden, um die Zerstörung nicht nur 'Jerusalems', sondern der Welt selbst zu verhin-dern. 7. 'Pfingstliche' Räume öffnen Die Spaltung innerhalb der katholischen Kirche ist ohne Zweifel ein komplexes Problem und kann daher nur in einer komplexen Weise als 'System' betrachtet werden, in dem alles konkret in Verbindung mit allem gebracht wird, ebenso wie alles mit jedem einzelnen Element. Die Christen werden ihre Begeisterung nur im 'Pfingstereignis' wiederfinden, bei dem ein kleiner Rest der ängstlichen Jünger des Herrn, die "im Gebet versammelt, vom Geist des Herrn erfüllt wurden und in fremden Sprachen zu reden begannen, wie der Geist ihnen eingegeben hat". Trotz beträchtlicher Unterschiede in Rasse, Geschlecht und Religion, konnten sie die Sprachen der 'Fremden', der 'Anderen', der 'Heiden' sprechen, so daß diese erstaunt und verblüfft dastan-den. Was war passiert? Das Versprechen Gottes, das vom Propheten Joel angekündigt wurde, hat sich erfüllt. So erklärt es der Heilige Petrus: "Ich werde meinen Geist ausgießen auf alle Menschen. Eure Söhne und Töchter werden Propheten sein, eure jungen Männer werden Visio-nen haben, eure Alten werden Träume haben" (Apg 2,17). Pfingsten hat die Dämme des patriarchalisch-machistisch-dogmatisch-priesterliche Systems beseitigt, um das Wasser des Geistes frei fließen zu lassen. Der Geist gibt allen die Gabe der Sprache. Der Geist kennt keine Unfehlbarkeit, keine absolute Macht, keine priesterliche Büro-kratie, keine göttlichen Riten; er läßt sich nicht in Glaubensbekenntnissen festhalten. Der Geist schafft Konsens, Solidarität, Kreativität, befähigt zum Träumen und zur Prophetie. Er tut Außer-gewöhnliches, Wunder werden Realität. Mit einem Wort, der Geist befreit die Geschichte vom Determinismus und führt sie in Richtung einer schöpferischen Evolution. 7.1 Die Dynamik von Pfingsten Die Dynamik von Pfingsten ist vergleichbar mit einem offenen, selbstorganisierenden, dialogi-schen System mit folgenden Kennzeichen:
Einladung "Die
Zeit ist reif, auf dem Weg gemeinsam mit dem Papst nicht nur aufs Neue
festzu-stellen, daß die Kirche die Gemeinschaft der Jünger Jesu
ist, sondern sicherzustellen, daß die Menschen von heute Kirche auch
wirklich erleben."
Um in eine intensive Diskussion dieses Textes beim Forum Europäischer Christen in Rom (7.-9. Oktober 1999) eintreten zu können, ist die Mitarbeit von zahlreichen Frauen und Männern notwendig. Wir ersuchen daher alle Leser, ihre Kommentare so bald wie möglich, spätestens bis 15. September 1999 an die unten stehende e-mail-Adresse zu schicken. Wir bitten um Berücksichti-gung, daß wir eine sehr große Zahl von Beiträgen erwarten. Deshalb ersuchen wir Sie, Ihren Standpunkt so knapp und präzise wie möglich zu formulieren. Wir möchten auch um Verständnis bitten, daß wir, wenn die erwartete Zahl von Zuschriften eintrifft, vielleicht nicht in der Lage sein werden, alle Beiträge im endgültigen Dokument zu berücksichtigen. Nichtsdestoweniger freuen wir uns auf Ihre kooperativen Beiträge. Wir hoffen, dadurch zu einer Befreiung der Synode aus ihrem goldenen, episkopalen Käfig beizutragen und diese zu einer Sache des Volkes Gottes in seiner Gesamtheit zu machen. Ihre Kommentare werden erbeten an: |
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